Ursula und Thilo und Bonnie und Clyde

Mittwoch, 26. Januar 2011

Die Albernheit mit der Debatten zuweilen geführt werden, zeichnet sich oft schon im lapidaren Schlagwort ab, unter dem das Geschwafel firmiert. Man muß nicht wissen, was hinter der Frau Sarrazin-Debatte steckt, um zu erahnen, dass das eine besonders belämmerte Abwicklung reaktionärer Feuchtträume sein muß; der dösige Versuch, die Frau eines Reaktionärs in Szene zu rücken, sie zum Fels in dessen Brandung umzuschreiben - im gemeinsamen Heim der Sarrazins, so das Bild das entstehen soll, da gedeihen Ansichten, die jeder hege, die sich aber niemand zu formulieren getraut.

Da steht dieses betagte, dieses wurmstichige Brautpärchen gegen den Rest der Welt, gegen seine Kritiker und mosert vereint und ohne Rücksicht auf die Umwelt durch die Lande - man ist schließlich auch im Geiste verheiratet. Frau Sarrazin soll es nun ihrem Gatten gleichtun, soll mit einem Bestseller nachlegen, sich darin zur Bildungsfrage äußern, die für sie freilich gar keine Frage von Gehalt ist: fraglich sind für sie nur die Horden träger und dummdreister Schüler, die ihr und ihrem Berufsstand partout das Leben erschweren wollen.

Das ist insofern ein unvergleichlicher, bislang unbekannter Clou des agenda setting: kein Einzelkämpfer als Stimme der schweigenden Mehrheit, keine verlorene, vereinsamte Gestalt, sondern ein Ehe- und bald Autorenpaar ist es, welches hier als spirituelle Einheit auftritt. Wie Bonnie Parker und Clyde Barrow materiell verpartnert und ideell verschwistert, wenden sie sich gegen eine Welt, die ihnen höchst problematisch und ungerecht dünkt - man vernimmt Thilos leises und stotterndes Gesäusel, das er ins Ohr seiner Ursula verrichtet, frank und frei nach den Toten Hosen: "... auch wenn uns die ganze Welt verfolgt, wir kümmern uns nicht drum, denn wir sind Bonnie und Clyde."

Und als Bonnie und Clyde reaktionärer Bestsellerlisten werden sie stilisiert; dieser neueste Clou öffentlicher Verblödung, nun auch ein Ehepaar als Inbegriff deutscher Leistungsträgerschaft zur gemeinsamen Stimme gegen Ausländer und genetisch Minderwertige, Jugendliche und Kinder aus der Unterschicht auflaufen zu lassen, er füttert das Märchen von der kleinkarierten Bonnie und ihrem spießigen Clyde, die gegen eine Welt aufbegehren, die sie endlich aufgeräumt wissen wollen, die pingelig all jene aus ihrem direkten Umfeld eliminieren soll, die sie für unwürdig und minderwertig erachten. Seltsame Helden, wie einst das Mordpärchen, das zum Heldenpärchen des kleinen Mannes wurde, weil es sich mit rasender Chuzpe gegen die Staatsmacht warf, so wie jenes aktuelle Pärchen sich heute gegen alles wirft, was in den letzten Jahrzehnten an Aufklärung und sozialer Errungenschaft erreicht wurde.

Insofern ist die Bezeichnung Mordpärchen auch hier nicht gänzlich fehlerhaft, wenngleich noch nicht gemordet wurde - aber die Vorbereitungen haben die gegenwärtigen Bonnie und der gegenwärtige Clyde bereits getroffen; sie düngen jenen Boden, der zu ganz widerlichen Entwicklungen hinleitet; sie lassen antiquiertes und unwahres Gedankengut reifen, das dann auch die Eliminierung unliebsamer Gesellschaftsgruppen nicht mehr unmöglich macht. Sie sind Wegbereiter einer Unmenschlichkeit, die Menschenrechte und gegenseitigen Respekt vergessen machen soll; keine Sozialleistungen mehr, Ausländer raus!, härte Gangart bei Kindern und Jugendlichen, eingeimpfter Schuldkomplex bei Eltern: das ist die Welt dieses Ganovenpärchens, das sich als Leistungsträger- und bald schon als Autoren- oder gar Intellektuellenpärchen feiern läßt.

Nun bleibt zu hoffen, dass sie wie einst Bonnie und Clyde im Kugelhagel verenden - in keinem wirklichen, einem metaphorischen freilich, um dem feinen Benehmen die Ehre zu geben. In einem Kugelhagel, der von den Feuilletons ausgeht, von zerfetzenden Artikeln und zertrümmernden Rezensionen. Aber das ist nur eine müde Hoffnung, denn entweder meuchelt man obskure Heldengestalten oder man macht sie zu spirituellen Führern. Und es würde nicht wundern, wenn die vorzufindende gesellschaftliche Konstitution aus dem Autoren- und Intellektuellenpärchen ein Führerpärchen machen würde!



8 Kommentare:

Anonym 26. Januar 2011 um 08:45  

endlich mal ein wuerdiger text zu diesen typen.

Krischan 26. Januar 2011 um 10:21  

Die Medien sind aber auch geradezu ekelhaft unkritisch.
Es gab schon deutlich vor Veröffentlichung von Sarrazins Buch Kritik an Frau Sarrazins Tätigkeit als Lehrerin. Irgendwo gab es einen Zeitungslink noch in 2008, damals wurde aber alles eher als "Verschwörungstheorie-gegen-Frau-von-Finanzsenator" präsentiert z.B.:

http://www.tagesspiegel.de/berlin/frau-sarrazin-in-der-geruechtekueche/1367528.html

Eltern legen sich nicht einfach so mal eben öffentlich mit einer Lehrerin an.
Bevor ein Schulrat tätig wird, muss auch einiges passiert sein.
Es wurde berichtet, Erstklässler seien von Frau Sarrazin beschimpft worden. Das ist kein angemessener Umgang mit Kindern, die haben danach nämlich grundsätzlich NIE MEHR LUST auf Schule. Schule ist nicht schön für Kinder, wenn die Lehrerin nicht nett ist und je jünger die Kinder, desto wichtiger ist das. Eine nette Lehrerin ist auch nicht das Gegenteil einer guten Lehrerin, sondern beides fällt eher zusammen.

pillo 26. Januar 2011 um 16:19  

Das Pärchen kann sich medial ganz elegant die Bälle zuspielen. Er stellt haarsträubende Behauptungen auf, die sie mit realen(?) Fällen aus ihrer beruflichen Praxis untermauern kann. Er ergeht sich in irrwitzigen und gefährlichen Theorien, die sie an Hand von "praktischen Beispielen" als Realität zu entlarven weiß. Sie plaudert aus ihrem Schulalltag, was ihm die Möglichkeit gibt, seine Hasspredigten fortzusetzen oder gar noch zu steigern.

Ankläger und Zeuge unter einem Dach, genial! Wenn es nicht so ernst und traurig wäre, müßte man vor dieser dreisten Masche beinahe den Hut ziehen.

Das die Medien dieses Spiel mitmachen und diesen Sarrazynikern förmlich an den Lippen kleben, verwundert nicht wirklich. Schließlich "argumentiert" dieses ehrenwerte Pärchen ganz im Sinne der Betreiber des Systems, Divide et Impera.

Anton Chigurh 26. Januar 2011 um 18:55  

und noch ein ganz anderer Aspekt kommt dazu....kaum wird es etwas ruhiger um den geistigen Tattergreis, muss man halt mal wieder ein paar Kohlen nachlegen - sein ekelhaftes Machwerk soll ja schließlich noch länger auf der "Bestsellerliste" stehen !

Auch gut! 26. Januar 2011 um 20:13  

Ich möchte mich wirklich nicht auf den Feuilleton verlassen.
Ich träume von Heerscharen von Schülern, die jede einzelne Lesung besuchen und mit beim Discounter geklauten Dioxineiern ihrem Unmut Nachdruck verleihen.

Anonym 27. Januar 2011 um 13:20  

Ob Frau S. und ihre KollegInnen, Vorgesetzten, die Eltern, usw. während ihrer Berufstätigkeit je die Möglichkeit zu (externer) Supervision wahrgenommen haben?

DRESDNER FAMA NEWS 28. Januar 2011 um 20:04  

Ja, unsere Volksbefreier, die edlen Sarrazinaden, die sich doch schon auf einer Stufe der Wichtigkeit mit den Geistern der Vergangenheit, fast wie Voltaire im Frankenlande oder zumindest wie August Friedrich Ferdinand von Kotzebue im Vormärz von 1848 wähnen, unschuldig verfolgt und verfemt von den ewig Gestrigen, die den Zug der Zeit nicht erkennend, das rostige, knarrende Rad des Karrens der Mitmenschlichkeit, dessen Weg in einer Sackgasse endend, boßhafterweise auch über sie rumpeln lassen.
Dabei titelte schon der Spiegel im Herbst 2010: HUMANISMUS IST ABERGLAUBE und sie, die beiden Helden, die geistige Avantgarde des modernen Deutschen, schlagen nun gemeinsam die Dexel, freilich nicht aus Damaszener Stahl, dazu reicht es wahrlich nicht, um endlich das ewig Faulende aus der schwärenden Wunde des gesunden Volkskörpers zu reißen, damit wenigsten das Germanische uns, wenn schon nicht in der ganzen Welt, genesen kann.

PS: Das Ende hast Du, lieber Roberto, mir schnöderweise vorweggenommen...
Aber wie ich die deutschen Medien einschätze: es wird ausgehen, wie das Hornberger Schießen, vielleicht, dass ein Einzelner, sicher verwirrter, Kolumnist, noch einmal das Pistol erhebt und - vorbeischießend, nicht trifft, sondern vor Schreck über den unerwarteten Rückstoß seiner Waffe, zitternd ohnmächtig zu Boden sinkt.

PS II: So richtig genutzt haben die Beiden aber die Kraft ihrer Lenden auch nicht, zu sehr haben sie sich durch die Mühen der Zeit von der Zeugung jener Früchte der Lust und Leidenschaft, oder wohl sicher nur calvinistischer Pflichterfüllung, abhalten lassen - so winkt kein Mutterverdienstkreuz...

Anonym 5. Februar 2011 um 01:34  

Und danach...??? Wieder dieser ekelige deutsche ( periodisch vikommende) wiederkehrende Opfermhytos.... Opfer von: Deulchstosslegende, Vers<iee Frieden, die Juden, Hitler Demokratie,die Gastarbeitern, das viel beschworene "deutsche Volk" (gehört übrigens immer zu den Verlieren..... weil es die Welt in Brand stecken will) aber immer sind die Anderen schuld. Das ist mindestens so schwer zu ertragen, wie das preussisch Baroc.
Da kommt es einem hoch.

Ein NEIN auf ein Deutches Europa!!!!!
Zoran

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